Ein Nachruf von Hermann Schulz, erschienen in AMOS 4-2012

Shalom, Georg

Unser Freund Georg Leifels, AMOS-Leserinnen und -Lesern durch seine Buchvorstellungen bekannt, ist nur 60 Jahre alt geworden. Er starb am 18. Oktober nach einem leidvollen halben Jahr.
Unsere ersten Zusammentreffen waren bezeichnend. In den 70er Jahren organisierte er Büchertische bei Friedensveranstaltungen und holte bei uns im Peter Hammer Verlag in Wuppertal Nachschub. Wozu sollte man in Zeiten von Nato-Doppelbeschluss und Atombedrohung Bücher machen, wenn nicht für den Frieden?

Damals war es für ihn ziemlich aussichtslos, als Lehrer oder im Sozialen eine Anstellung zu finden. Er tat damals das, was ein ganzer Kerl tut: Er ließ sich auf das Abenteuer ein und wurde einige Jahrzehnte ein ungemein erfolgreicher und angesehener Repräsentant für viele Verlage. Ein Abendgespräch bei mir zu Hause mit seiner Frau Monika reichte aus, um ihn einzuweisen; alles andere erledigte er mit Klugheit, Zähigkeit, Einfühlungsvermögen und durchaus auch Freude am Gelingen. Für unseren Verlag, für alle seine Verlage und für zahlreiche Buchhandler war das ein Gewinn, denn er war allen, die mit ihm zu tun hatten, ein unbedingt glaubwürdiger Berater. Zu seinem Tod erschienen im ,,Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" mehr als fünf ganze Seiten Anzeigen seiner Partner im Buchhandel.

Aus den ersten Begegnungen wurde Freundschaft jenseits aller Geschäftsbeziehungen. Eine seltsame, von beiden Seiten beharrlich betriebene Freundschaft mit regelmäßigen Begegnungen war da entstanden. Da gab es Abende, wie sie in keines der üblichen Klischees von Männergesprächen passen. Sie hatten nichts mit Kumpanei, mit Prahlerei, mit dem Aufblähen der eigenen Wichtigkeit zu tun. In seiner Gegenwart verstummte solches Gequatsche von allein.
Worüber wir sprachen? Wie wir mit unseren Mitteln die Welt ein bisschen besser machen könnten. Er schleppte mich z. B. in eine Haftanstalt und überredete mich, einem Lebenslänglichen eine Lehrstelle zu geben. Dass der dann später in einem Pomo-Verlag die Publikationen betreute, konnte Georg nicht irritieren. Unglaublich, wo er überall seine Finger drin hatte. Seine Engagements vor Ort, in Schulen, Kultur- und sozialen Einrichtungen bewunderte ich. Und er stellte zugleich nie in Frage, dass auch die Revolution in Nicaragua gelingen müsse. Möglichst hier und dort mit einem Sozialismus, der Schönheit und Spiritualität nicht so sträflich wie im Ostblock und der DDR missachtete.

Er war ein sanfter Mensch, selten oder nie erlebte man ihn aufbrausend oder zornbebend. Manche sagen sogar, er zeige nie irgendeine Art von Eitelkeit. Nahe Freunde wissen, dass es noch mehr gab, was er nie oder selten zeigte oder zeigen konnte.

Wir erfuhren nach und nach unsere Kindheitsgeschichten, bekamen eine Ahnung davon, woher unsere persönlichen Ängste, Zweifel und Verknotungen kamen. Es war ein vorsichtiges Herantasten in einer Atmosphäre von Respekt und Zuneigung, um gemeinsam unsere Wege auszuloten, vielleicht sogar Befreiung zu finden, wohl wissend, dass es keinen Zauberspruch gab, der sofort wirksam wäre. Wir beide wussten, dass nicht alles Ersehnte in einem Leben erreicht werden kam; dass Hoffnung und Sehnsucht Lebensquellen sind, die ihre eigene Bedeutung jenseits der üblichen Nutzanwendung haben.

Unsere Treffen fanden fast immer nach seinem anstrengenden Arbeitstag statt. Es war meine Aufgabe, seine meist niedergeschlagene Stimmung aufzuhellen, seinen Frust anzuhören und vorsichtig den Weg zu anderen Themen zu ebnen. Denn die Tonlage seines Gemüts war nicht durchweg fröhlich-optimistisch.

Natürlich horchte ich ihn gehörig aus, wie es ihm mit den von ihm betreuten Verlagen ergeht; es gab ja noch mein altes nostalgisches Interesse an dieser Welt von Wundern, Aufregungen, neuen Ausblicken, Sensationen und Niederlagen, Konkurrenzen und dem wundersamen Zusammenwirken von Menschen, die mit Büchern zu tun haben. Aber das passierte nur am Rande zum Einstieg in lange Abendgespräche.
Über meine sarkastischen Ausbrüche sah er gütig hinweg. Er hatte ein großes Herz! Und er war neugierig auf die Reichtümer der Welt, zu denen er auch Leiderfahrungen zählte, mehr aber noch Begegnungen mit Menschen und Büchern, die er bis nach Hagen zu seinen Leuten trug.

Es gab schon einmal einen gefährlichen Einbruch in seinem Leben. Unvergessen sind mir die Stunden, als er vor 15 Jahren voller Angst und Verzweiflung dem Tod ins Auge blicken musste. An dem Abend sind viele Tränen geflossen. Ihn plagte damals weniger die Angst vor dem Tod als die Angst um seine noch unmündigen Kinder, seine Familie. Auch da erwies sich der sanfte Georg als ein ganzer Kerl. Seine Entscheidung, keine Chemo mehr zuzulassen, hielt ich für höchst gefährlich. Aber er tat das Richtige. Aus diesem Abenteuer ist er mit einer fast unmerklich veränderten Persönlichkeit, mit einem ganz neuen Auftritt in unserer Welt erschienen.
Georg war für mich das, was wir im frommen Wuppertal eine „Handarbeit Gottes“ nennen. Diese Handarbeit hatte sicher Webfehler und seine eigenen Geheimnisse, das wird seine Frau Monika und seine drei Söhne noch lange beschäftigen. Wir sind nicht dazu gemacht, den Verlust, den Schmerz sofort zu verstehen und auszuhalten. Vor allem bei den engsten Angehörigen der Familie und seinen Freunden meldet er sich mit anderer Färbung zu seiner Zeit. Es wird für niemanden, der ihn kannte, vergeblich sein, sich darauf einzulassen.

Schalom, Georg!



Hermann Schulz leitete von 1967 bis 2001 den Peter Hammer Verlag. Er lebt als Autor von Kinder- und Jugendbüchern in Wuppertal.
Der hier abgedruckte Text ist Teil seiner Ansprache zur Trauerfeier von Georg Leifels.

Von Georg Leifels herausgegeben, erschien gerade eine Sammlung Weihnachtsgeschichten „Der vierte König“ im Verlag Kaufmann, Lahr.